Wie ich einen Shutdown wahrnehme

Ein autistischer Shutdown ist kein Spaß. Gibt es keinen Ausweg aus einem Overload, kann man nicht zur Ruhe kommen und Anforderungen reduzieren, dann schaltet der Körper ab. Nach außen hin wirkt dieser Zustand nicht wirklich bedrohlich, anders als häufig ein Meltdown. Ein Meltdown ist für das Umfeld mitunter sehr auffällig und auch anstrengend (wenngleich das für einen Autisten um eine Vielfaches schlimmer ist). Ein Shutdown wirkt dagegen eher „harmlos“. Betroffene selbst finden diesen Zustand nicht minder schlimm. Viele berichten, dass sie sich während eines Shutdown wie ein Zombie fühlen.

Die Zeit vor dem Shutdown

Vor einigen Tagen hatte ich diesen Zustand, den ich sonst nur aus akuten Burnout-Phasen kenne, nur noch viel extremer. Ich dachte erst, das wäre so etwas wie ein innerer Meltdown. Also ein Meltdown, der sich nach innen richtet, und nicht wie man es allgemein so kennt. Ich brauchte ein paar Tage, um überhaupt einordnen zu können, was überhaupt mit mir passiert war.

Es ging mir in den letzten Monaten ohnehin schon nicht gut. Die Veränderungen, die dieses Corona-Jahr mit sich bringt, waren schon sehr deutlich spürbar. Ich hatte keinerlei Entlastung. Die Haushaltshilfe, die wir über den Pflegegrad meines Sohnes bekommen, kam für etliche Monate nicht mehr, Therapien und Coaching im Autismuszentrum fanden nicht statt, wenngleich ich mir telefonisch dort im Akutfall Hilfe holen konnte. Und mal eben so ein Wochenende fürs Kind bei Oma und Opa war auch nicht möglich. Abgesehen davon hatten wir natürlich auch Homeschooling. Mein Mann ist seit März ebenfalls zu Hause und arbeitet von hier aus. Ich war also für viele Monate gar nicht mehr alleine. Und das fehlte mir, sehr.

Es war zudem das eingetreten, wovor ich die ganze Zeit Angst hatte: ich konnte meine Migräne-Prophylaxe (Botox) nicht bekommen. Wir hatten hier einen Corona-Verdachtsfall und dadurch durfte ich natürlich die Klinik, in der ich diese Prophylaxe bekomme, nicht betreten. Der Sommer ist eigentlich die Zeit, in der das Botox am besten wirkt. Wenn dann noch die Sommerferien dazu kommen, in denen wir hier keinerlei Anpassungsdruck haben, kann ich richtig Kraft tanken. Das war mir nicht mehr möglich, da ich dadurch seit einigen Wochen nahezu täglich Migräne habe. Die Schmerzen und die dazugehörigen Medikamente überreizen mich völlig. Die Aussicht, ohne diese Erholungsphase in den Winter starten zu müssen, setzt mir derzeit ebenso zu.

Dann haben wir uns gedacht, wenn wir schon nicht in den Urlaub fahren können, renovieren wir doch das Wohnzimmer. Das wollten wir schon lange. Anfangs ging das für mich auch richtig gut. Ich habe zu Hause mehrere Schränke und Regale aussortiert. Ich war unheimlich stolz auf mich, fühlte mich produktiv und hatte endlich auch einmal das Gefühl, etwas zu schaffen. Gleichzeitig haben wir geplant, mindestens einmal in der Woche abends wegzugehen. Mein Mann und ich genießen es sehr, wenn wir einfach etwas Zeit nur für uns als Paar nutzen können.

Zeitgleich zur täglichen Migräne kam die Hitzewelle. Das Licht, die Temperatur, der viel zu laute Ventilator, die klebrigen Klamotten, der fehlende Schlaf in der Nacht… Ich hielt mich nur noch in der Wohnung auf. Dazu die Schmerzen… Ich war in einem Zustand permanenter Überreizung. Oft fühlte ich mich kurz vorm Meltdown.

Mir fiel schon länger auf, dass ich zusätzliche Reize nicht mehr ausblenden kann. Einkäufe mit Maske gehen schon einige Wochen nicht mehr. Ich habe dann keine Orientierung mehr und kann im Anschluss kaum noch Auto fahren. Ich konnte nur „auf Sparflamme“ funktionieren, was mir aber jetzt erst im Nachhinein bewusst wird. Und der Gedanke, dass der Shutdown dies noch weiter reduzieren konnte, ist beängstigend.

In den Tagen vor dem Shutdown stimmte ich schon, für meine Verhältnisse, relativ auffällig mit den Fingern. Meine Fingerkuppen sind schon völlig überreizt, weil ich sie ständig kneifen muss. Ich brauchte schmerzhafte Reize mehr denn je. Normalerweise kreise ich nur mit meinem Daumen am Fingergelenk des Mittelfingers. Das bekommen die meisten Menschen gar nicht mit. Bis vor kurzem war mir nicht mal wirklich bewusst, dass ich Stimming betreibe.

Mein Gedächtnis spielte verrückt. Ich konnte mir nichts merken, was ich mir für den nächsten Tag vorgenommen habe. Ich hatte ein Gefühl, als würde ich sämtliche Kompetenzen verlieren.

Eigentlich war ich also schon dauerhaft im Overload. In der Nacht vor dem Shutdown konnte ich zusätzlich nicht schlafen. Schlaflosigkeit kenne ich schon mein Leben lang. Ich hasse sie, und es stresst mich auch, wenn ich zu wenig Schlaf bekomme, aber ich klappe von einer schlaflosen Nacht nicht zusammen.

Der Shutdown

Am nächsten Morgen konnte ich kaum aufstehen und das Bett verlassen. Ich fühlte mich, als wäre ich nicht Teil meines Körpers und als könnte ich keinerlei Kontrolle mehr über ihn erlangen. Meine Muskeln schienen sich aufgelöst zu haben. Ich musste auf die Toilette gehen und quälte mich unendlich dabei, mich aufzusetzen und ins Bad zu gehen. Dabei wollte ich eigentlich nur schlafen und liegen bleiben. Eigentlich lag ich den Rest des Tages auf der Coach oder im Bett. Ich wollte nicht essen, trinken oder mich in irgendeiner Form unterhalten, geschweige denn mich bewegen.

Ich kann mich an nichts an diesem Tag erinnern, außer daran, wie ich mich innerhalb meines Körpers wahrgenommen habe. Meine Muskeln waren schwach und taten regelrecht weh. Jede Bewegung fühlte sich an, als hätte ich tonnenschwere Gewichte an Armen, Beinen, am Rücken und selbst am Kopf.

Mein Körper schaltete jede Möglichkeit, zu funktionieren ab. Mehr noch, er bremste mich bewusst und aktiv aus, so dass ich keinerlei Möglichkeiten hatte, die Kontrolle zu erlangen. Mir blieb nichts anderes übrig, als auf das Ende dieses Zustandes zu warten. Während ich im Overload noch so massiv maskiere, dass ich es in vielen Fällen vor anderen verbergen kann, war hier überhaupt nicht mehr daran zu denken.

Wahrscheinlich war das sogar das Problem. Ich kann selten so wirklich entladen und habe gerade in den letzten Wochen kaum darauf geachtet, mich nicht zu überfordern. Zudem kamen eben noch äußerliche Umstände, die alleine für sich mir eigentlich schon zu viel waren.

Irgendwann am Abend konnte ich wieder einigermaßen agieren, war allerdings immer noch erschöpft und unglaublich kraftlos. Eigentlich geht es mir jetzt, einige Tage später, immer noch so. Aktuell sind mir die kleinsten Anforderungen zu viel. Gespräche führen, Termine wahrnehmen, kurze Strecken mit dem Auto fahren, Sport. Ich schaffe gerade so den Ablauf für mein Kind und alles darüber hinaus geht nicht mehr. Reize kann ich derzeit kaum aushalten und immer noch spüre ich meinen Körper so unfassbar intensiv. Schreiben ist das einzige, was mir derzeit gelingt.

Bei einem Shutdown schaltet wie gesagt das System ab, weil nichts mehr geht. Ich weiß also, ich kann jetzt nichts dagegen tun. Aber es fällt mir wirklich schwer, mich nicht dafür zu schämen. So wenig leistungsfähig fühle ich mich selten. Und es macht mir Angst, da ich Kontrolle abgeben muss, und Kontrolle ist im Alltag das einzige, was mir Sicherheit gibt.

Ich werde versuchen, die nächsten Tage reizarm zu gestalten, und die Anforderungen maximal runterzufahren. Was anderes, als Akzeptanz bleibt mir gerade nicht übrig.

3 Kommentare zu „Wie ich einen Shutdown wahrnehme“

  1. Dieses tonnenschwere Gefühl in den Gliedmaßen hatte ich während meiner schlimmsten Depressionen. Ich habe damals immer gesagt:“…als müsste ich den Mount Everest besteigen“, wenn ich mich erheben wollte. Aber wie Du es hier schilderst, gehört es zum „Bild eines Shutdowns“ (bei jeder/ jedem?) oder folgt dem Shutdown eine Depression, die dieses tonnenschwere Gefühl verursacht?

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    1. Ein Shutdown bei Autisten ist etwas, was einem grundsätzlich immer passieren kann. Es muss also keine Depression folgen o.ä.
      Es gibt die drei Zustände bei Reizüberflutung/Überforderung: Overload, Meltdown, Shutdown. Den Overload hab ich relativ oft, einfach weil ich im Grunde immer dauerhaft überreizt bin. Gibt es da keinen Ausweg mehr, oder fehlt die Kraft für einen Meltdown, dann kommt es zum Shutdown.
      Durch die Reizfilterschwäche kann ein Overload im Grunde jederzeit und durch alles ausgelöst werden. Da reicht schon ein kurzer Besuch im Supermarkt.
      Die Meltdwons sind halt nach außen auffälliger. Beides sind aber ganz klare körperliche Reaktionen mit sehr heftigen Begleitsymptomen. Ich hatte während den depressiven Episoden auch etwas ähnliches, aber nie so krass wie jetzt. Aber mittlerweile nehme ich vieles eben durch meine Diagnose ganz anders wahr.
      Ich hab dir mal noch einen Beitrag verlinkt, in dem ein Meltdown beschrieben wird, ich finde den am eindrücklichsten

      https://autistanbord.wordpress.com/2019/05/31/kernschmelze/

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  2. Danke für deinen interessanten Blogpost!
    Das hatte ich viele Jahre, ja, sogar Jahrzehnte lang, immer wieder, wenn ich von den beruflichen und privaten Situationen völlig überfordert und überreizt war. Da ich ja bis zu meinem dreiundsechzigsten Lebensjahr nicht wusste, dass ich Asperger Autistin bin, hielt ich das stets für besonders schlimme Migräne-Anfälle. Seitdem ich über den Autismus Bescheid weiß, und mich nur mehr in seltenen Fällen maskiere, sind diese Shut Downs immer mehr zurückgegangen.

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